Mit Beschluss vom 19.07.24 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren ausgesetzt, da der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht verteidigt war.
Dem Angeklagten sei unter Verstoß gegen die Bestimmungen zur notwendigen Verteidigung trotz der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge kein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dadurch sei möglicherweise sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt, das seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs.1 GG hat. Als unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Der Angeklagte wurde vom Landgericht Frankfurt am Main in der Berufungshauptverhandlung wegen Störung des öffentlichen Friedens, versuchter Nötigung und Bedrohung unter Einbeziehung zweier weiterer Verurteilungen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. (BVerfG 2 BvR 829/24)
Kategorie: Aktuelles
Weiche Droge Cannabis
Bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes entfaltet der Umstand, dass es sich bei Cannabis um eine weiche Droge handelt, in der Strafzumessung keine strafmildernde Wirkung mehr, da das Gesetz allein zu dieser Droge Regelungen enthält. (vgl. BGH 6 StR 116/24, Beschluss 16.05.24)
Faustschlag gegen Kopf oder Schläfe kann mit Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten geahndet werden
Heftige Schläge gegen den Kopf eines Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach Art der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Das gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand. (Vgl. BGH 3 StR 157/23)
Fehlende Beschuldigtenbelehrung-Beweisverwertungsverbot von Amts wegen zu beachten
Im Ermittlungsverfahren sind Beweisverwertungsverbote unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten. Belehrt die Strafverfolgungsbehörde einen Vernommenen, den sie zunächst als Zeuge gehört hat nicht nachdem sich ein ausreichend starker Tatverdacht gegen den Vernommenen als Beschuldigten ergeben hat, dann sind dessen nachfolgende Aussagen nicht verwertbar. Es genügt nicht, wenn die Strafverfolgungsbehörde den Vernommenen als Zeugen belehrt hat, er dürfe die Aussage auf Fragen verweigern, deren Beantwortung die Gefahr der Strafverfolgung nach sich ziehen würde. Diese Belehrung kann nicht die gebotene Belehrung über das umfassende Schweigerecht eines Beschuldigten oder das Recht auf Verteidigerkonsultation ersetzen.( vgl. dazu BGH Beschluss vom 06.06.2019 StB 14/19)
Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge-der minderschwere Fall
Der minder schwere Fall spielt bei der Verteidigung im Betäubungsmittelstrafrecht eine erhebliche Rolle, da das Gesetz zum Teil erhebliche Einsatzstrafen vorsieht. Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichwohl, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der Ausnahmestrafrahmen anzuwenden ist. Wenn bei der Durchsuchung einer Wohnung in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln ein Baseballschläger aus Aluminium gefunden wurde und bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angeklagt war mit einer Einsatzstrafe von 5 Jahren, so ist bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegen könnte, auch der Umstand in den Blick zu nehmen, dass der Baseballschläger im Vergleich mit einer Schusswaffe ein geringeres Gefährlichkeitspotential aufweist.(Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 07.05.19 zum Aktenzeichen 1 StR 80/19)
Nach Auffassung der 35.Strafkammer des Landgerichts Berlin haben die sog. Ku`-Damm-Raser drei Mordmerkmale verwirklicht
Das Landgericht Berlin hat gestern die beiden Angeklagten erneut zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Voraussetzung für diese Verurteilung war, dass auch diese Kammer von bedingtem Tötungsvorsatz der Beiden ausgegangen ist. Die beiden Angeklagten hätten den Tod anderer Verkehrsteilnehmer durch ihre Fahrweise als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt, gebilligt oder sich zumindest damit abgefunden. Bewusst fahrlässiges Handeln der Angeklagten könne nicht mehr angenommen werden, da dies ein ernsthaftes Vertrauen auf einen guten Ausgang vorausgesetzt hätte und dieses ernsthafte Vertrauen auch durch Tatsachen hätte belegt sein müssen. Da die Verteidigung erneut Revision gegen das Urteil einlegen (muss), wird der Bundesgerichshof noch einmal prüfen und gegebenfalls noch einmal an eine andere Kammer des Berliner Landgerichts zurückverweisen müssen.
Kammergericht verurteilt drei Berliner zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen geplanter Ausreise nach Syrien als IS-Unterstützer
Der Staatsschutzsenat des Kammergericht hat drei Angeklagte u.a. wegen gemeinschaftlicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und 10 Monaten verurteilt. Obwohl die Angeklagten letztlich nicht nach Syrien eingereist sind, hat das Gericht erhebliche Freiheitsstrafen ausgesprochen, was u.a. mit generalpräventiven Erwägungen begründet wurde.
Rechtskraft des Urteils gegen gerade 18-jährigen zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes
Das Landgericht Berlin hat den zur Tatzeit 18 Jahre und drei Wochen alten tschetschenischen Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge an einer Kunsthistorikerin im Tiergarten zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das war nur möglich, weil das Gericht nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenenstrafrecht angewendet hat mit der Begründung, im Angeklagten seien keine Entwicklungskräfte in größerem Umfang mehr wirksam und er somit einer erzieherischen Einflussnahme nicht mehr zugänglich. Auch die im Fall der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht dann noch bei bis zu 21-jährigen heranwachsenden Tätern bestehende Möglichkeit der Strafmilderung auf 10 bis 15 Jahre hat das Gericht nicht vorgenommen, weil bisherige vielfältige erzieherische Hilfen gescheitert seien und eine Wiedereingliederung nicht zu erwarten sei. Die gegen das Urteil eingelegte Revision hat der zuständige Strafsenat des Bundesgerichtshofes jetzt als offensichtlich unbegründet verworfen. (BGH Beschluss vom 24.01.19 5 StR 663/18)
Wann ist der Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt?
Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist nach der Rechtsprechung des BGH zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also gemessen am äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalls kennt. Es ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. In jedem Fall muss die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers tangiert sein und es reicht nicht jede subjektiv empfundene Beeinträchtigung aus.(vgl. BGH 4 StR 570/17, 13.03.18))
Täter-Opfer-Ausgleich
Der BGH hat klargestellt, dass der gesetzlich geregelte Täter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht mit der Folge einer erheblichen Strafmilderung nicht in Betracht kommt, wenn das Opfer z.B. nach einem Verkehrsunfall verstirbt und der Täter eine Ausgleichszahlung an die Angehörigen leistet. Das Gesetz verlange vielmehr einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, wobei das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren müsse. (BGH Beschluss vom 06.06.18, 4 StR 144/18)